Evangelische Zeitung vom 17. Januar 2021 zum Amtsantritt von Lisa Gellert als Friedensbeauftragter der Landeskirche
"Frieden fängt bei mir an"
Was bringt Menschen zusammen, die sich streiten oder gar Kriege führen? Die Friedens- und Extremismusforscherin Lisa Gellert ist schon lange auf der Spur jener geheimnisvollen Momente, in denen Menschen trotz aller religiöser und kultureller Verschiedenheit ihre Verbundenheit spüren - seit Januar als neue Friedensbeauftragte der Landeskirche Hannovers.
VON SVEN KRISZIO
Hannover. "Früher liefen mir die Tränen runter, wenn ich von Kriegen hörte und die Bilder sah. Ich konnte nicht verstehen, warum Menschen so miteinander umgehen und niemand einschreitet“, sagt Lisa GelIert. Und sofort fügt sie hinzu, dass sie damals noch ein Kind gewesen sei. Doch das tiefe Berührtsein hat ihren Lebensweg geprägt. Die heute 32-Jährige studierte Politik- und Religionswissenschaften in Göttingen, Seattle, London und Tübingen und engagierte sich in zahlreichen Friedensprojekten auf der ganzen We1t. Seit Januar ist sie die neue Referentin für Friedensarbeit der Landeskirche Hannovers und Nachfolgerin von Lutz Krügener, der jetzt als Gemeindepastor in Hildesheim arbeitet. Lisa Geliert wollte der Frage auf den Grund gehen, wie Menschen, die verschieden sind oder sich gar zerstritten haben, wieder ins Gespräch miteinander kommen. In der US-amerikanischen Stadt Seattle lernte sie die sogenannte Interface - Gemeinde kennen, die ein Rabbiner gegründet hatte. Ihm ging es um die Gemeinschaft der Menschen unterschiedlicher Religionen. "Hier kommen Christen, Juden und Buddhisten zusammen und feiern Gottesdienst“, erzählt Lisa Geliert., "Die Menschen feiern ihre Unterschiedlichkeit." Interreligiosität sei Teil ihres Glaubens, niemand werde in dieser Gemeinde missioniert."
Der Wunsch nach Austausch ließ sie einige Sprachenlernen, darunter Englisch, Französisch, Spanisch und sogar Chinesisch. Selbst ein bisschen Hebräisch lernte sie. Gellert machte Praktika bei Unicef, bei der Peace Foundation in Neuseeland und der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen. Ihre Masterarbeit schrieb sie über das ‚Compassionate Listening Project', ein Projekt, das Konfliktparteien in Krisengebieten miteinander ins Gespräch bringen und dadurch das Verständnis füreinander fördern will. Wie gering die Hürden für Begegnungen über vermeintliche Grenzen hinweg sind, erlebte Gellert auf dem "Peace Boat“; das japanisch Studierende gegründet haben, 11m Gruppen zusammenzubringen, die sich auf der ganzen Welt für Frieden, Menschenrechte und Nachhaltigkeit engagieren. Dort habe sie mit Menschenrechtlern aus der Türkei gesprochen, sei Iranern begegnet und habe sich mit Japanern über Vergangenheitsbewältigung ausgetauscht.
"Es braucht nicht viel, um in Kontakt zu kommen“, stellt GelIert fest. Eines lernte Gellert jedoch auch: dass die Welt nicht einfach schwarzweiß sei und dass man deswegen zwischen Menschen und ihren Handlungen unterscheiden müsse: "Jedes Lebewesen 'ist schützenswert“, betont Gellert. "Das gilt auch für Menschen, die Böses tun.“
1 Million Euro für die Arbeit der Friedensorte
Den Dienst als Referentin für Friedensarbeit im Haus kirchlicher Dienste kann Gellert, die zuvor vier Jahre lang beim Verfassungsschutz Niedersachsen in der Extremismus-Prävention gearbeitet hat, optimistisch angehen. Denn die Landessynode hat erst auf ihrer jüngsten Tagung im November 1 Million Euro für die Arbeit der acht Friedensorte bewilligt, einem Arbeitsschwerpunkt der neuen Friedensbeauftragten. "Das ist ein deutliches Zeichen der Landeskirche, weil damit die Arbeit bis Ende 2024 gesichert ist“, sagt Lisa Gellert. Der Vergabeausschuss des Fonds "Friedenswege“ in dem jetzt 2,5 Millionen Euro liegen, müsse in den kommenden Monaten entscheiden, welche Projekte fortgesetzt werden. "Ich freue mich sehr darauf, die Friedensorte bekannter zu machen.“ Die Landeskirche Hannovers sieht Lisa Gellert als Vorreiterin für kirchliche Friedensarbeit. Die Friedensarbeit sei eine Ausgestaltung der Überzeugung, dass alle Menschen v0r Gott gleich seien. Es sei daher gut, wenn sich die Kirche zur Flüchtlingspolitik zu Wort melde. "Doch Worte allein reichen nicht. “Man muss auch das Geld dazu in die Hand nehmen, betont Gellert. Und schließlich müsse diese Haltung auch gelebt werden: "Ich habe gelernt, dass man nur sich ändern kann, niemanden sonst. Frieden fängt bei mir an.“